Der Bandscheibenvorfall (lat. Prolapsus nuclei pulposi, auch Bandscheibenprolaps (BSP), Discushernie, Discusprolaps), ist eine Erkrankung der Wirbelsäule, bei der Teile der Bandscheibe in den
Wirbelkanal – den Raum, in dem das Rückenmark liegt – vortreten. Im Gegensatz zur Bandscheibenprotrusion (Vorwölbung) wird beim Prolaps der Faserknorpelring der Bandscheibe (Anulus fibrosus) ganz
oder teilweise durchgerissen, während das hintere Längsband (Ligamentum longitudinale posterius) intakt bleiben kann (sogenannter subligamentärer Bandscheibenvorfall).
Die Ursache ist oft eine Überlastung bei Vorschädigung der Bandscheiben, ein Bandscheibenvorfall kann aber auch ohne äußeren Anlass auftreten. Symptome des Bandscheibenvorfalls sind starke,
häufig in die Extremitäten ausstrahlende Schmerzen, oft mit einem Taubheitsgefühl im Versorgungsgebiet der eingeklemmten Nervenwurzel, gelegentlich auch Lähmungserscheinungen. Eine Behandlung ist
meistens konservativ möglich, schwere Vorfälle müssen operativ behandelt werden.
Dass ein Bandscheibenvorfall die Ursache für eine Nervenwurzelkompression ist, wurde erstmals 1934 vom Neurochirurgen William Jason Mixter (1880–1958) und vom Orthopäden Joseph Seaton Barr
(1901–1963) beschrieben, die auch erstmals eine Laminektomie als chirurgische Behandlung vorschlugen.
Bandscheiben sind bradytrophe Gewebe, das heißt, sie werden nicht direkt aus dem Blutkreislauf heraus mit Nährstoffen versorgt, sondern durch Diffusion. Hierbei spielen semipermeable Membranen,
welche die Knorpelringe voneinander trennen, die entscheidende Rolle. Durch Scherkräfte können diese Membranen einreißen, wodurch sie ihre Funktion verlieren und die Bandscheibe nebst Gallertkern
der Bandscheibe (Nucleus pulposus) austrocknet (black disc lesion). Wenn es zu einem Bandscheibenvorfall kommt, ist der Gallertkern praktisch nicht mehr in seiner ursprünglichen Form vorhanden.
Der Bandscheibenvorfall entsteht also zumeist auf dem Boden einer langjährigen Vorschädigung der Bandscheibe. Der Gallertkern (ca. 80 % Wasser) besteht bei der gesunden Bandscheibe aus einem
gallertigen, zellarmen Gewebe und übernimmt bei Belastung zusammen mit den Knorpelringen und den Membranen die Funktion einer hydraulischen Kugel („Wasserkissen“). Die Wirbelkörper und
Bandscheiben vorne ermöglichen zusammen mit den kleinen Wirbelgelenken hinten („Facettengelenke“) die hohe Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule und ihre hohe Stabilität.
Die menschliche Wirbelsäule hat 23 Bandscheiben. Zwischen dem ersten Wirbel (lat. Atlas) – von oben gezählt – und dem zweiten Wirbel (Axis) ist keine Bandscheibe ausgebildet. Damit wird dem Kopf
beim Nicken (Atlas) und Drehen (Axis) die erforderliche Bewegungsfreiheit gegeben. Außerdem konzentrieren sich dort wesentliche Nervenstränge und die Blutversorgung zum Kopf.
Es gibt verschiedene Ursachen für einen Bandscheibenvorfall: genetische Schwächen, einseitige Belastungen oder eine Schwäche der paravertebralen, also der neben den Wirbeln gelegenen Muskulatur.
Die ausschließlich unfall- oder verletzungsbedingte Schädigung der Bandscheibe ist bislang nicht als Ursache nachgewiesen – dem widersprechende Argumentationen werden von Berufsgenossenschaften
und Sozialgerichten höchst selten anerkannt. Gesundes Bandscheibengewebe soll nach gängiger Meinung, wenn überhaupt, mit einem Stück Knochen zusammen aus dem Wirbelkörper ausreißen. Häufig tritt
ein Bandscheibenvorfall auch während einer Schwangerschaft auf. Es gibt viele alte Menschen von über 90 Jahren, die in ihrem arbeitsreichen Leben niemals Beschwerden an der Wirbelsäule
beziehungsweise den Bandscheiben hatten. Dagegen gibt es Kinder, die schon einen Bandscheibenvorfall erleiden mussten.
Mögliche Ursachen für den rasanten Anstieg von Bandscheibenvorfällen in der heutigen Zeit sind Bewegungsmangel und Fehlhaltungen, vor allem bei Büroarbeiten. In einigen Studien konnte ein
erhöhtes Risiko bei Übergewicht nach Body-Mass-Index gegenüber Bandscheibenveränderungen festgestellt werden.[2] In einer finnischen Studie zeigte sich ein 2-fach erhöhtes Risiko einer
stationären Behandlung von Bandscheibenerkrankungen bereits bei einem BMI > 27,5 kg/m².[3]
Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 40 Jahren, die am häufigsten betroffenen Wirbel liegen im Lendenwirbelbereich (lumbal). Weniger häufig betroffen sind Halswirbel (zervikal) und
nur sehr selten die Brustwirbel (thorakal). Das Verhältnis ist etwa 100 zu 10 zu 1.